Die phantastische Charlotte Findelkind
Es war Juni und so ein Tag... eher Herbst als Sommer. Nichtsdestotrotz zog ich meine Regenjacke an, um mich auf meinen Nachmittagsspaziergang zu machen. Auf dem Rückweg, bei den ersten Häusern, stutzte ich. Hatte ich ein Weinen gehört? Aber nein, alles war still. Plötzlich sah ich hinter den geleerten Mülltonnen im Gras, halb unter Blättern verborgen, eine kleine Hand herausragen. Mein Schock war groß. Lag dort ein Baby? Ich nahm vorsichtig die Blätter beiseite und blickte in furchtbar traurige Augen Es sah mich an und lag ganz steif, zu einer Puppe erstarrt. Wer hatte dieses Wesen entsorgt? Ein Kind, das nicht mehr damit spielen wollte? Oder hatte sie sich selbst befreit und war aus einer der Mülltonnen geklettert? Sicherlich wollte sie niemand (auch nicht die Müllmänner?) haben, denn sie musste schon längere Zeit dort gelegen haben. Sie war sehr verschmutzt und innerlich voller Wasser. Ich hob sie vorsichtig auf und wurde gleich von einem Wasserstrahl, der auf meine Schuhe traf, berieselt. Als ich mir das Gesicht genauer ansah und in ihre Augen blickte, erfasste mich großes Mitleid mit dieser
verstoßenen und verlassenen Puppe, die hier einsam im Gras lag, so dass ich sie, ohne weiter zu überlegen, mit nach Hause nahm. Im Atelier setzte ich sie erst einmal auf meinen Maltisch und überlegte mir, wie sie wohl heißen könnte. Später ging ich dann schlafen. Als ich am nächsten Morgen in mein Atelier kam, lag sie umgekippt auf der daneben liegenden Palette in den frischen Ölfarben. Sie war gewiss vor lauter Erschöpfung eingeschlafen. Charlotte FindelkindVielleicht mochte sie aber auch den Geruch der frischen Ölfarben – wer weiß? Spontan sagte ich zu ihr: „Charlotte, was machst du denn da?“ Und so hatte ich nun auch einen Namen für sie gefunden: Charlotte Findelkind! Ich setzte sie auf die Palette, drückte ihr einen Pinsel in die Hand, gab ihr Zeichenpapier und sagte: “Lotte mach mal, wollen mal sehen, was da kommt.“ Ich war völlig überrascht, als sie mir ihr erstes Werk präsentierte. Sie hat ein unglaubliches Farbgefühl und hat mit ganzem Körpereinsatz agiert. In diesem Moment erkannte ich im tiefsten Inneren:
Ich hatte eine neue Künstlerin entdeckt und zum Leben erweckt.
Das Malen macht Charlotte soviel Spaß, dass sie nicht genug davon bekommen  kann. Deshalb werde ich in unregelmäßigen Abständen auf dieser Seite immer neue Werke von ihr präsentieren..
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